Jeder kennt Sehnsucht. Manchmal ist sie nur unterschwellig vorhanden. Manchmal schreit sie uns geradezu an. Sie ist unser Barometer, wenn wir aus der Balance gekommen sind. Und je lauter der Ruf, umso größer ist die Dysbalance und umso dringender ist es, ihm zu folgen…
ANFANGEN | AUFHÖREN
Wenn unser Leben täglich denselben Ablauf hat und man das Gefühl bekommt, stillzustehen oder auf der Stelle zu treten, dann kann ein spontaner Impuls ein Geschenk sein, um sich endlich einen Ruck zu geben. Um das zu verändern oder anzupacken, was von uns zu lange unbeachtet blieb. Manchmal ist es nötig mit etwas aufzuhören, um mit etwas Neuem beginnen zu können. Ob wir aufhören eine bestimme Rolle zu spielen, Erwartungen anderer zu erfüllen oder alles perfekt zu machen. Dann wird das Aufhören nicht zu einem Aufgeben, sondern ein Zeichen für unsere Stärke und unseren Mut, zu uns zu stehen und auch mal einzugestehen, wovon wir genug haben oder was falsch gelaufen ist. So ermöglicht erst das Aufgeben manchen Neubeginn. So wie erst das Innehalten genug Raum lassen kann, um sich zu fragen: wo bin ich eigentlich und wo will ich hin in meinem Leben? Und wenn dann trotzdem der Mut fehlt, seiner Sehnsucht zu folgen? Dann kann vielleicht der Satz von Herman Hesse den nötigen Schubs geben: „Jedem Anfang wohnt ein Zauber inne.“
MEHR | WENIGER
Wir leben im Überfluss und sehnen uns nach weniger. Weil uns das Mehr in unserem Leben oft auch mehr Arbeit macht. Wir müssen mehr sortieren, mehr Termine machen, mehr Verantwortung übernehmen. Wir verlieren den Überblick, erkennen nicht den Unterschied zwischen Dringlichem, was uns sofort auffordert zu handeln, und dem eigentlich Wichtigen. Deshalb lieben wir Helfer wie Marie Kondo (wer sie noch nicht kennt, sie ist die „Aufräum-Königin“ aus Japan), mit denen wir unsere Wohnung vom Überfluss befreien. Behalten wird hierbei nur, was wirklich nützlich ist oder uns glücklich macht. Zum Beispiel das Hochzeitskleid, weil die Erinnerungen, die damit wach werden, so wunderbar sind. Eine Jeans dagegen, in die man seit man 16 ist nicht mehr reinpasst, erzeugt nur schlechte Gefühle, die man loslassen sollte, um sich zumindest innerlich leichter zu fühlen.
NÄHE | FERNE
Manchmal braucht man einfach ein wenig Abstand, um klarer zu sehen. Abstand von der Arbeit, den Liebsten oder sogar von sich selbst. Letzteres schafft so manche Reise. Man nimmt sich selbst zwar immer mit, aber in fremder Umgebung lernt man sich auch oft selbst neu kennen. So führt die Ferne zu mehr Nähe und Einklang mit sich selbst. Auch in Beziehungen kann das zuweilen gut tun. Wenn man sich nach mehr Abstand zu einem bestimmten Menschen sehnt, weil einem die Nähe nicht gut tut, liegt das vielleicht daran, dass man Sorge hat, sich selbst in dem alles überlagernden „Wir“ zu verlieren. Nähe braucht Freiheit, um uns nicht zu erdrücken. Und wer sich frei fühlt, braucht dann meist auch keinen Abstand mehr. Es sei denn, man möchte mal wieder klarer sehen … Anfangen und Aufhören, Mehr und Weniger, Nähe und Ferne – letztlich ist es immer die Balance zwischen zwei Polen, die unser Leben so wunderbar lebenswert macht.
gbm
Redaktioneller Beitrag für die Evangelische STIMME der Triangelis Gemeinde